Ludwig Kasper

Einführung in Leben und Werk

Der Bildhauer Ludwig Kasper gehörte mit Gerhard Marcks und Hermann Blumenthal zu einer Künstlergruppe, die auch in der restriktiven Zeit des Nationalsozialismus eine eigenständige Bildsprache pflegte. Ihre  an der griechischen Frühklassik orientierte Kunst entsprach so gar nicht dem offiziellen Geschmack. Da sie trotz der herrschenden Doktrin nicht im Verborgenen bleiben, sondern eine Öffentlichkeit finden sollte, nahmen es diese Künstler in Kauf, stets aufs Neue um Anerkennung kämpfen zu müssen, Restriktionen ausgesetzt zu sein und von Zurückweisungen bedroht zu werden. Ihr selbstbestimmter Weg in der Zeit der Diktatur war dabei von einer beständigen Auseinandersetzung mit den Vorgaben des Regimes, aber auch von Unterstützungen geprägt.

Innerhalb dieser Bildhauergruppe gehörte Kasper zu den Älteren. 1893 im österreichischen Gurten geboren, absolvierte er zunächst eine Lehre als Holzschnitzer in der “Fachschule für Holzbildhauerei” in Hallstadt. Ein Wiener Kunstmäzen, Eugen von Miller zu Aichholz, ermöglichte Kasper ab 1912 den  weiteren Unterricht an der Münchner Kunstakademie und einen Kontakt zu deren Direktor, Anton von Stadler. Mit dessen Sohn, Toni Stadler, sollte Ludwig Kasper zunächst zwei Jahre bei Hermann Hahn studieren. Der Erste Weltkrieg unterbrach die Studien, erst 1919 konnte er seine Ausbildung für weitere vier Jahre bei Hahn fortsetzen. In der künstlerisch aufgeregten Zeit vor und nach dem Ersten Weltkrieg, die von Stilexperimenten und Abstraktionsbestrebungen, vom Expressionismus und Kubismus geprägt war, bildete die strenge, am Klassizismus orientierte Schule Hahns einen Ort solider bildhauerischer Ausbildung. Hier wurden die Grundlagen für die in der zweiten Hälfte der 1920er Jahre aufkommende Stilberuhigung gelegt. Statuarik und Archaik waren die  Kennzeichen der neuen Figürlichkeit.

Ludwig Kasper scheint sich bereits zu diesem Zeitpunkt an der neuen Entwicklung  in der Bildhauerei beteiligt zu haben, war aber offensichtlich mit den Ergebnissen seiner damaligen Arbeit nicht zufrieden, denn er vernichtete diesen frühen Teil seines Werks fast vollständig. Seit Mitte der 1920er Jahre lebte er als freier Künstler in München. Seine auf Ausstellungen präsentierten, heute fast nur noch im Foto überlieferten Werke waren zumeist Portraits, es lassen sich aber auch einige wenige Ganzfiguren nachweisen. 1928/29 hielt sich Kasper in Paris auf, wo er sich zwar auch mit den aktuellen Kunstströmungen beschäftigte, vor allem aber im Louvre die Kunst der frühen Hochkulturen studierte.

1930 heiratete Kasper die Künstlerkollegin Ottilie Wolf, die ihn bereits nach Frankreich begleitet hatte. Das junge, weitgehend mittellose Paar zog in die Heimat von Ottilie Kasper, auf deren elterliches Gut nach Schlesien. In den drei Jahren, die Ottilie und Ludwig Kasper auf dem Land lebten, festigte sich das Werk des Bildhauers: Erstmals ließ er ganzfigurige Arbeiten gelten und entwickelte seine stehenden männlichen und weiblichen Akte zu konzentriert gearbeiteten Statuen in einer summarischen Formensprache.

1933 musste das Ehepaar Kasper Schlesien verlassen, da das elterliche Landgut in der Weltwirtschaftskrise in Schwierigkeiten geraten war. Die beiden Künstler zogen nach Berlin und erhielten in der Ateliergemeinschaft Klosterstraße zwei Arbeitsräume zugeteilt.
In der Klosterstraße waren unterschiedlichste Künstler untergebracht worden, nachdem ihre angestammten Ateliers in der Prinz-Albrecht-Straße von der Gestapo übernommen worden waren. Über die Jahre fand sich in dem neuen Atelierhaus eine Gruppe von Malern und Bildhauern zusammen, die versuchte, auch im Nationalsozialismus ein individuelles Kunstverständnis zu bewahren. Dazu gehörten unter anderem die Maler Werner Gilles und Werner Heldt sowie die Bildhauer Ludwig Kasper und Hermann Blumenthal. Es gesellten sich als Gäste Gerhard Marcks und Toni Stadler und die jungen Kunsthistoriker Christian Adolf Isermeyer und Werner Haftmann hinzu.
Haftmann versuchte, die neue Bildsprache der Plastiker um Kasper und Blumenthal zu publizieren. In der kurzlebigen Zeitschrift “Kunst der Nation” veröffentlichte er 1934 den grundlegenden Artikel zur “archaischen” Plastik der jüngeren Bildhauergeneration. Er konstatierte in dieser Kunstrichtung ein Zurückgehen zu den strukturellen Eigenheiten der Bildhauerei, die sich in der Darstellung einfacher, frontaler Motive, wie Stehen, Sitzen und  Schreiten ausdrücke. Haftmann bescheinigte dieser Kunst ein “autonomes plastisches Bekenntnis”.

Die Vertreter des Dritten Reichs hatten jedoch andere Vorstellungen von der Bildhauerei. Sie bevorzugten einen einheitlich-klassizistischen Stil, der vornehmlich in der architekturgebundenen Plastik realisiert werden sollte. Zwischen diesen beiden Positionen - einer ganz auf sich bezogenen, freien Kunst und einer Auftragskunst - bewegten sich die engagierten Bildhauer der 1930er und 1940er Jahre. Sie bemühten sich einerseits, ihre künstlerischen Vorstellungen umzusetzen, hatten anderseits aber auch Rücksichten zu nehmen: Wer von seiner Kunst leben wollte, musste sich mit der nationalsozialistischen Kulturpolitik arrangieren, mit Wettbewerbsbedingungen, Ausstellungsvorschriften und Materialzuteilungen. Aber es ergaben sich auch in der NS-Diktatur immer wieder Freiräume, die mühsam erarbeitet waren und zäh verteidigt wurden. Die Ateliergemeinschaft Klosterstraße etwa bot die Möglichkeit zum Gedankenaustausch. Auch die Stipendien, die zum Beispiel die Berliner Akademie der Künste vergab, schufen durch Geldzuweisungen und die Aussicht auf Auslandsaufenthalte finanzielle und ideelle Freiheiten. Daneben waren Gelegenheiten zur Ausstellung dieser abseits der offiziell propagierten Kunst entstandenen Werke von großer Bedeutung. Der Buch- und Kunsthändler Karl Buchholz gehörte zu den unerschrockenen Galeristen, die auch eine Kunst präsentierten, die vom Regime lediglich geduldet war.

In der Galerie Buchholz hatte Kasper 1939 seine erste Einzelausstellung in Berlin. Die Deutsche Allgemeine Zeitung war damals von der “statuarischen Ruhe” der Figuren fasziniert: “Seine Gestalten (befinden sich) in völligem Stillstand ... aber im Moment einer völlig ausgewogenen Haltung, als höre die Seele plötzlich auf zu atmen”. Die zweite Schau seiner Werke bei Buchholz 1941 war zugleich die letzte der Galerie. Auf Veranlassung der Reichskulturkammer musste Buchholz Anfang 1942 “wegen Unzuverlässigkeit” sein  schließen.
Kasper stellte darüber hinaus seit 1935 einige Male in der Berliner Akademie aus, war auf überregionalen Ausstellungen vertreten und beschickte die erste Große Deutsche Kunstausstellung 1937 in München, die im Vergleich zu späteren Jahren noch eine größere stilistische Vielfalt zugelassen hatte. Größere Aufträge erhielt Kasper nicht, vermutlich arbeitete er nur einmal in militärischem Auftrag: die Figur eines Speerträgers für einen Fliegerhorst. Kasper war also auf Sammler angewiesen, die seine Werke erwarben, und auf Stipendien, die zumindest für einen gewissen Zeitraum finanzielle Sicherheit gaben.

1936 erhielt Kasper von der Berliner Akademie ein Griechenland-Stipendium. Für ein halbes Jahr konnte er seine Ende der 1920er Jahre im Pariser Louvre begonnenen Studien frühklassischer Kunst vor Ort fortsetzen. In einem Artikel der Zeitschrift “Die Kunst” gab der Kunsthistoriker Carl Georg Heise Ludwig Kasper als “höchste - griechische - Aufgabe aller Bildhauerkunst” mit auf den Weg,  “menschliche Wesen so zu gestalten, dass sie durch ihr einfaches Wesen zu ergreifen vermögen”. Er traf damit den Kern der Kasperschen Kunst, der seine Figuren nach einem innerlich festgelegten Idealbild zu einer allgemeingültigen Formulierung bringen wollte. Werner Haftmann, der seit den 1930er Jahren das Werk Kaspers freundschaftlich begleitete, beschrieb seine Kunst deshalb auch als “abstrakt”, da sie keine Inhalte übermitteln wollte: “Sie handelt von der am Gegenstand zur Erscheinung gelangten sichtbaren Schönheit und ihrer Logik.” (Haftmann 1939)
Dieser für seine Werkentwicklung so wichtigen Studienreise nach Griechenland folgte 1940 ein weiteres Stipendium der Berliner Kulturinstitution, der Rompreis, der einen einjährigen Aufenthalt in der Villa Massimo ermöglichte. Das Ehepaar Kasper kehrte aus der arkadischen Idylle der römischen Künstlervilla nach Berlin in die Realität des Zweiten Weltkriegs zurück. Neben den Beschwernissen der kriegsbedingten Mangelwirtschaft drohte die Einberufung in die Wehrmacht. Die jüngeren, wie Hermann Blumenthal und Gustav Seitz, waren bereits 1940 eingezogen worden. Der fünfzigjährige Ludwig Kasper wurde im Herbst 1943 gemustert und konnte dem Fronteinsatz nur durch die Lehrtätigkeit an der “Meisterschule des Deutschen Handwerks” in Braunschweig entgehen, an die er ebenfalls im Herbst 1943 berufen worden war. Vor den Bombenangriffen floh das Ehepaar Kasper 1944 nach Österreich, wo der Bildhauer im Sommer 1945 überraschend starb.

Kasper hatte ein Werk voll idealschöner Figuren geschaffen, die als Stehende, Kniende oder Sitzende grundlegende Fragen der modernen Bildhauerei untersuchten. Mit seiner stilisierenden Formensprache führte er die Anliegen der älteren Kollegen fort, eine autonome, nur sich selbst verpflichtete Bildhauerei zu schaffen. Kaspers stille, konzentrierten Menschenbilder waren nur schwer mit einer Ideologie aufzuladen. Sie bildeten damit ein wohltuendes Gegengewicht zu den naturalistischen Monumentalfiguren, die das NS-Regime so schätzte.

Dr. Josephine Gabler

 

Bibliographie:

Werner Haftmann: Ludwig Kasper, Berlin 1939

Carl Georg Heise: Ludwig Kasper, in: Die Kunst, 11.1936, S. 42-47

H. Pattenhausen: Statuarische Ruhe. Skulpturen in der Galerie Buchholz, in: Deutsche Allgemeine Zeitung, Morgen-Ausgabe, 13. Mai 1939

Waldemar Grzimek: Deutsche Bildhauer des 20. Jahrhunderts, München 1969

Werner Haftmann: Der Bildhauer Ludwig Kasper. Mit einem vollständigen Werkverzeichnis, Frankfurt, Berlin, Wien, 1978

Ateliergemeinschaft Klosterstraße 1933-1945. Künstler in der Zeit des Nationalsozialismus, Akademie der Künste, Berlin 1994

Christof Nanko (Hg.): Ludwig Kasper 1893-1945 Bildhauer. Erinnerung an Leben und Werk, Braunschweig 1995

Regina Maria Hillert: “Höchste Schätzung der Antike” Hermann Blumenthal und Ludwig Kasper im Dialog mit antiken Formtraditionen, in: Josephine Gabler (Hg.): Sterngucker. Hermann Blumenthal und seine Zeit, Gerog-Kolbe-Museum, Berlin 2006, S. 119-131

 

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