Austellungen

Schlosskirche Neustrelitz 2005


Ausstellung
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Idealbild von Ordnung

Zur Eröffnung der Ausstellung "Strenge und Sensibilität - der Bildhauer Ludwig Kasper"
Plastikgalerie Schlosskirche Neustrelitz, 30.04.2006

von Peter H. Feist

Mehr als ein halbes Jahrhunder ist es her, seit Ludwig Kasper im Sommer 1945 plötzlich starb, in dem Jahr, an das zur Zeit so viel erinnert wird, in den ersten Monaten eines noch unsicheren Wieder-Aufatmens. In diesem halben Jahrundert hat sich das Kunstschaffen besondere schnell und auch höchst verwirrende geändert. Dennoch steht Plastik wie die von Kasper immer noch in einem Feld, auf dem heftig gestritten wird, wie sie einzuschätzen sei. Sie lässt uns keine gesicherte Ruhe. Damit geht es dieser Kunst so wie Vielem aus der Wirklichkeit jener Zeit. Man beruhrt also wohl etwas sehr Grundsätzliches, wenn man sich zu Kasper äußert.

Dazu gehört beispielsweise auch Folgendes. In diesem Jahr feiert die Kunstszene mit vielen Ausstellungen den hundertsten Jahrestag der Bildung der Künstlergemeinschaft "Brücke". Ihr Aufbruch zum Expressionismus war unbestreitbar ein ganz entscheidender Beitrag deutsch Künstler zur Kunstentwicklung im 20. Jahrhundert. Ludwig Kasper hingegen hielt sich ganz bewusst vom Expressionismus vollkommen fern. Wie ist das zu beurteilen.

Man muss sich immer wieder ins Bewusstsein rufen, wie sehr das Kunstschaffen besonders in neueren Zeiten polyphon und gegensätzlich ist, und wie sehr zu empfehlen ist, mit Werturteilen ganz sorgfältig umzugehen. Die Absichten von Künstlern und die Erwartungen von Betrachtern sind aus guten Gründen äußerst vielfältig. Die Entscheidung für etwas ganz Neues ist nicht zwangsläufig etwas Positives. Minderheiten sind nicht grundsätzlich im Recht gegenüber den Ansichten der Mehrheit. Die Kriterien modern oder altmodisch reichen zur Qualitätsbestimmung nicht aus, auch wenn sie im Konkurrenzkampf der Kunstrichtungen stets dazu benutzt werden. Sind sie auch nicht automatisch an weltanschauliche und ein politische Kategorien gekopelt. Dies im Hinterkopf habend, schauen wir auf die Figuren und Köpfe von Ludwig Kasper.

Der Österreicher wirkte seit seinem Studium in München fas ausschließlich in Deutschland. Er lebte - und das war ja das Normale - fast immer in finanzieller Unsicherheit, war angewiesen auf die Familie, auf Gönner, auf Stipendien, auf seltene Aufträge oder unvorhersehbare Verkäufe. Deshalb nahm er fünfzigjährig gern die Anstellung als Lehrer für Steinbildhauerei an einer nicht sehr bedeutenden Kunstschule in Braunschweig an, obwohl er selbst nie als Steinbildhauer hatte arbeiten können. Ein Jahr später waren die Schule und seine Wohnung zerbombt.

Kasperhatte sich bedächtig und ohne erkennbare Umwege eine bestimmte Auffassung von Bildhauerkust gebildet, und er verwirklichte sie mit tiefem Ernst und völlig kompromisslos in einem Lebenswerk, für das sich 118 Arbeiten ermitteln ließen. Nur 57 blieben erhalten. Die Gronzegüsse sind fast durchweg erst posthum.

Außer bei den Porträtköpfen und mit wenigen frühen Ausnahmen hielt Kasper an der in der Neuzeit dominierenden Traditon fest, Aktfiguren zu formen. Sie allein wurden für ihn dem Wesen von Skulptur und Plastik gerecht. Ausschließlich der nackte Menschenleib in seinen Haltungen udn Gesten, seinen Proportionen und Achsen, seinem gegliederten Bau, die Abfolge von Rundungen und Einziehungen und die sie überspannende Oberfläche hatten das herzugeben, was ein plasstisches Bildwerk mitzuteilen vermag. Das betraf einmal, sagen wir so: Angelegenheiten der Menschen, und zum anderen anschaulich werdende Kräfteverhältnisse, Beziehungen, Ordnungen. Unter jenen Bildhauern, die in diesem Sinne arbeiteten, war Kasper sicher der strengste, am radikalsten in Konzentration und Zurückhaltung. Von daher ruhrt der fast beklemmende feierliche Ernst, den seinen Figuren ausstrahlen.

Wir besitzen wenig Zeugnisse über die künstlerischen Ansichten des Wortkargen. Wir wissen, dass er das "Lyrische" verabscheute, wenn er meinte, es an Skulpturen anderer zu beobachten, und alles Erzählerische, Genrehaft ohnehin. Bei Werner Haftmann, dem einzigen Kunsthistoriker, der Kasper persönlich etwas näher kam, finden wir wichtige Hinweise und Gedanken. So etwa, dass Kasper eine Figur, die er schaffen wollte, stets schon im Kopf hatte und dann die tatsächlich gearbeitete Figur an diese Vorstellung annäherte. Der belesene, gebildete "Kopfarbeiter" hat auch kaum gezeichnet und keine Varianten skizzierende erprobt. Die einzelne Menschen-, fast ausschließlich Frauenfigur meint kein Individuum, sondern ist, so Haftmann, "Metapher des Menschtums". Dien anscheinende, vor dem Model gearbeitet und konrtollierte Naturtreue verbot sich strikt jedwede expressive Überlägung, Achsenverschiebung, Ausdünnung, Kantikeit usw. Dien anscheinend lebensvolle Naturtreue ist damit, könnte man sagen, purer "Formalismus", eine konstruktive Abstraktion.

Auffälligste Merkmale von Kaspers Aktfiguren sind strenge Frontalität, äußerste Sparsamkeit an irgendwelche Gebärden der Gliedmaßen. Abwesenheit einer momentanen mimischen Regung und eine perfekte, gespannte Oberfläche über den klar und möglichst einfach modellierten Volumina von Kopf, Hals, Schultern, Brüsten, Bauch und Schenkeln. Keine Spuren von voraufgegangenem Modellieren. Kein unabgeschlossener Versuch. Nur Vollendetes, unverrückbar Gültiges.

Mit der plastischen Darstellung des nackten Körpers begibt sich ein europäischer Bildhauer zwangsläufig in eine Beziehung zur griechischen Antike. Deren Aktfiguren, die Kuroi, Koren, Götter und Göttinnen, wurden aus kulturgeschichten Gründen zu Inbegriff besonders vollkommener Lösungen dieser bildhauerischen Aufgabe. Immer wieder strebten "klassizistisch" genannte Strömungen nach möglichst gleichrangiger Annäherung an die als "klassisch" aufgefassten Vorbilder. Das war auch mit einer Vorstellung von Kunstentwicklung verbunden, der zu Folge die Kunstfertigkeit immer vollkommener wird, bis sie eben die Höhe der Klassik erreicht. Nachfolgenden "barocken" Überreichtum hat man unterschiedliche beurteilt. Neu war das Folgende: Nachdem es immer wieder grunsätzlich "antik-antikische" Gegenbewegungen gegeben hatte, zuletzt die "primitivistische" Auflehnung des Expressionismus, kam in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts eine Bevorzugung der vor-klassischen, archaischen griechischen Skulptur gegenüber der klassischen auf. Dafür als Muster hatte sich Kasper schon entschieden, als ihm 1936 ein Stipendium der Preußischen Akademie der Künste einen längeren Griechenlandaufenthalt ermöglichte. Was er dort sah, festigte nur seine Idealvorstellung von Statuen.

Sie sollten gleichsam das absolute Stehen oder Knien oder Hocken oder Ruhen zeigen, nichts Zufälliges. Sie wirken wie Gebautes. Das Anzeigen eines Vorwärtsschreitens ist allenfalls minimal. Die Klassische Errungenschaft der Ponderation, der Unterscheidung von Stand- und Spielbein, der lässigen Kurvung der Körperachse wird wieder aufgegeben. Keine Figur, ich wiederhole es, meint eine individuelle Person. Ein Anflug von Individualisierung kommt nur durch einen Hauch von Ausdruck im Gesicht auf: entweder ernstes Nachdenken oder die Andeutung eines sanften Lächelns. Es bewahrt die Figuren davor, lebloss, rein stereometrische Gebilde zu sein. Der Untertitel "Russin" für eine "Stehende" ist nur ein nachträglicher Hinweis auf den Zufall, dass das Modell russischer Herkunft war. Die einzige Figur, die einen mythologischen Titel hat - "Arethusa", Quellnymphe eines Flusses, von der Ovid eine etwas rätselhafte Geschichte erzählte - wurde nur von Kaspers Frau Ottilie ganz verschieden gedeutet werden kann, nicht diese Geschichte erzählen.

Was also wollte Ludwig Kasper? Was verstehen wir an seinen Figuren? Kasper wollte wohl, einfach gesagt, Wertvolles zeigen und sich als jemand erweisen, dessen perfekte Arbeit einen Wert geschaffen hat. Wertvoll waren, ich wiederhole mich, der Mensch und eine klare Ordnung. Wer sollte dem nicht zustimmen? Dennoch setzt hier der Streit ein.

Die hier von mir geschilderte Auffassung vom Menschen ist offenkundig ebenso eingegrenzt wie sie Auffassung von Sinn und Vermögen der Kunst. Ein Künstler muss allerdings immer einseitig sein. Kasper feiert den guten kraftvollen, harmonischen, schönen Menschen. Auf ihn passt die Definition des Kunsthistorikers Kurt Badt, dass die Kunst das rühmt, was sie darstellt. Er hat nichts geformt, das er kritisiert, allerdings auch nie einen bedrängten, verletzten, leidenden Menschen. Er lässt alles Einzelschicksal im idealen Typus aufgehen. Die Formen zeigen keine Veränderungen, keine Veränderbarkeit an. Die Figuren haben nichts Geschichtliches.

Kasper Kunst gehörte ideell und ästhetisch zu einer Schicht gebildeten Bürgertums, die schwankend versuchte, sich in einer gewissen Distanz vom Nazismus zu halten, ohne diesen gänzlich abzulehnen oder gar zu bekämpfen. Nach 1945 galt diese Art Aktplastik in Westdeutschland als ideologisch belastet und vor allem gegenüber der Moderne unrettbar veraltet. In den wichtigsten meinungsbildenden Kunstbüchern der 50er Jahre kam Kasper nicht vor. In der DDR wurde er, sobald man nach einem eindringlich wirksamen Realismus strebte, z. B. 1968 in der wichtigen Ausstellung "Deutsche realistische Bildhauerkunst im XX. Jahrhundert" der Nationalgalerie, für diesen Weg des Realismus in Anspruch genommen - neben Blumenthal, dem etwas älteren Gerhard Marcks, dem noch älteren und vielen gestorbenen Lehmbruck, die alle in ihren Gestaltideen vielfältiger gewesen waren.

Dieser Beitrag zu einer realistischen Erkundung und Bewahrung des plastischen Menschenbildes macht uns Kaspers Werke wertvoll. Vor ihnen darf die Diskussion über ihren Platz in der Geschichte auch einmal aussetzen. Wir repektieren Ludwig Kaspers Ehrfurcht vor der Würde, die ein Mensch - trotz aller gegenteiligen Erfahrungen - besitzen kann. Die besondere rigorose Strenge, mit der er die Naturerscheinung des Menschenleibs zur klaren Form ordnete, bei feinstem Gefühl für jede Teilform, für jedes Stück Oberfläche, und die Aussperrung von gefühlvoll Erzählendem und jeder bestimmtem thematisch-inhaltlichen Bedeutung machen ihn beachtenswert nicht nur für Bildhauer. Seine Figuren können auch uns heutige Betrachter, ein halbes Jahrhundert später, in ihren Bann ziehen.